Nennen wir einander beim Namen!
»Die neuen Italiener der Diözese Rom und die Herausforderungen der Integration«: So lautet der Titel einer Untersuchung, die von der Diözese Rom zusammen mit dem Forschungsinstitut IRIAD im November 2024 vorgestellt wurde. Dabei geht es darum, jungen Menschen mit Migrationshintergrund, die in Rom leben, eine Stimme zu geben. Veronica Kallarakal, eine junge Medizinstudentin indischer Herkunft, nahm an dem Forschungprojekt teil und berichtet darüber.
Ich hatte das Glück und das Privileg, an diesem tollen Projekt teilzunehmen. Von 2022 bis 2023 fanden dazu zwei wichtige Veranstaltungen statt, die den Grundstein für diese Untersuchung legten. Im Rahmen von Workshops in Zusammenarbeit mit den ethnischen Gemeinschaften in Rom, berichteten viele Jugendliche der zweiten Generation von ihren Erfahrungen. Wir sprachen über Beziehungen, Schule, Arbeit, Staatsbürgerschaft, Familie und vieles mehr. Für mich persönlich waren diese Treffen sehr aufschlussreich. Es war das erste Mal, dass ich so viele junge Menschen der zweiten Generation traf, zu der ich ja auch gehöre. In diesen Tagen wurde mir klar, dass wir alle dieselbe Dynamik erleben, unabhängig von unserer Kultur und unserem Herkunftsland; die Tatsache, dass wir einen Migrationshintergrund haben, beeinflusst die Art und Weise, wie wir die Realität erleben. Das hat mich sehr erstaunt. Zuvor hatte ich das Gefühl, ich sei allein, doch diese Treffen zeigten mir, dass viele junge Menschen die gleichen Fragen stellen wie ich und die gleichen Probleme haben!

Worum geht es bei diesem Projekt?
Alles begann mit folgenden Ausgangsfragen: Wie finden die »neuen Italiener« zu ihrer Identität? Denn neben den allgemeinen Herausforderungen der Jugendphase stehen sie noch dazu in einem Spannungsverhältnis zweier unterschiedlicher Kulturen. Welche Integrationsstrategien wenden sie in der Gesellschaft an?
Die Studie beantwortete diese Fragen durch die Analyse von 119 Umfragen. Darunter waren Interviews mit ausgewählten Personengruppen und jungen Menschen aus 21 verschiedenen Ländern. Während der Interviews konnte auch ich meine Geschichte erzählen. Ich bin Tochter indischer Eltern, die Ende der 80er Jahre auswanderten. Ich selbst bin in Italien geboren. Die Teilnahme am Forschungsprojekt gab auch mir die Gelegenheit, den anderen zuzuhören und mit ihnen zu fühlen. Und während auch ich meine und die Geschichte meiner Eltern erzählte, konnte ich von meinen Wurzeln und meiner Herkunft sprechen und erklären, was so viele junge Menschen wie ich erleben.
Es wurden viele verschiedene Themen angesprochen: Es ging um die Beziehung zu sich selbst und die Suche nach der eigenen Identität, bis hin zu den verschiedenen Umgebungen, in denen wir uns bewegen, wie Familie, Freunde, Schule und Universität, Arbeit und die ethnischen Religionsgemeinschaften, denen wir angehören. In diesen Umgebungen fühlen wir uns teilweise konfus, manchmal diskriminiert, nie ganz auf Augenhöhe, irgendwie in der Schwebe zwischen »zu Italienisch« in den Augen unserer Familie und »zu fremd« in den Augen unserer Altersgenossen und der Menschen um uns herum. Was sich jedoch herauskristallisiert, ist der starke Wunsch gehört und nicht alleingelassen zu werden, um diese lange, mühsame und komplexe »Reise« zum Ziel zu führen, die die Entwicklung unserer Identität darstellt.
Erste Ergebnisse
Am 5. November 2024 wurden die Ergebnisse dieses ersten Projektteils dann der Öffentlichkeit vorgestellt; während der Veranstaltung wurde ich gebeten, über meine Geschichte zu sprechen. Für mich war das ein sehr emotionaler Moment, denn es handelte sich ja nicht um eine einfache Präsentation irgendwelcher Ergebnisse. Es ging um mein Leben und auch das von vielen jungen Menschen, die jeden Tag versuchen, die Gesellschaft, in der sie leben, mit ihren Erfahrungen zu bereichern, aller Schwierigkeiten zum Trotz. Nach jedem Absatz des Vortrags hätte ich ein Beispiel, das ich erlebt habe, erzählen können. Die gesamte Studie war für mich eine tolle Erfahrung, denn endlich hatte jemand bemerkt, dass es die »neuen Italiener« gibt und sie einen Raum brauchen, um mitteilen zu können, was sie empfinden.
Oft fragen mich die Leute, wie sie dazu beitragen können, andere für dieses Thema zu sensibilisieren. Ich möchte ihnen einen kleinen Ratschlag geben, den gleichen, den ich an diesem Tag vor so vielen politischen und anderen wichtigen Persönlichkeiten gegeben habe: Es ist ganz einfach, fangen wir mit unseren Namen und Nachnamen an, die manchmal so schwer auszusprechen scheinen! Ich habe so oft von jungen Menschen gehört, die ihre Namen falsch aussprechen, damit es einfacher klingt oder sich für ihre ausländischen Nachnamen schämen: Helft uns, dass wir uns nicht anders fühlen, dass wir unsere Namen und Nachnamen gut aussprechen können, denn sie verkörpern Geschichten, Kulturen und Traditionen, die oft sehr alt sind. Ein Name genügt, um jemandem das Gefühl zu geben, dass er geliebt und willkommen ist, dass er gesehen wird und wichtig ist. Schließlich ist Gott der erste, der uns alle beim Namen nennt.
