Sommerworkshops mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen

09.09.2017
Agrigent (I)
von Mariella Guidotti
Agrigento, Junge Erwachsene, Migration

Vom 21. August bis 9. September 2017 fand in Agrigento (Sizilien) ein Sommerworkshop für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge statt. Die Initiative war getragen vom Migrationsbüro der Erzdiözese Agrigento in Zusammenarbeit mit dem dortigen Zentrum für Erwachsenenbildung (CPIA) und unserem Scalabrini-Säkularinstitut.

Schon seit langem bereitet es Sorge, dass während der Sommermonate das Leben junger Flüchtlinge in den Wohngruppen um Agrigento regelrecht stillsteht. Es gibt in diesen Monaten kaum Angebote für sie. Für jungen Menschen aber, die dramatische Erlebnisse hinter sich und wenig günstige Aussichten für die Zukunft in einem ihnen völlig fremden Land vor sich haben, stellt diese Situation eine erdrückende Leere dar. Das Risiko, auf die schiefe Bahn zu geraten, ist groß.

In den Jahren 2015 und 2016 war es uns möglich, das Percussion-Projekt Il ponte (die Brücke) in den Wohngruppen minderjähriger Flüchtlinge mitzugestalten. Das eröffnete uns die Möglichkeit, einen direkten Einblick in ihre Lebenswelt zu erhalten. Im Sommer 2016 boten wir für zehn junge Flüchtlinge einen einwöchigen Intensivkurs für Italienisch an. Zwei Ehrenamtliche, die während der Ferien die Situation der Migranten in Agrigento kennen lernen wollten, unterstützten uns dabei. Es geht aber nicht nur um das Erlernen der Sprache, die Jugendlichen brauchen ebenso Begegnung und Austausch mit Menschen in ihrer neuen Umgebung.

Im Juni 2017 entstand so aus einem Gespräch mit dem Schulleiter des Zentrums für Erwachsenenbildung (CPIA) eine Idee für den Sommer: Wir planten während der Ferienmonate Workshops zu veranstalten, um so den minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen über einen größeren Zeitraum hinweg Lern- und Begegnungsmöglichkeiten anzubieten. Nach Gesprächen mit interessierten Sozialarbeitern einiger Wohngruppen wurde das Projekt konkret. Der Schulleiter des CPIA wollte uns die Räume zur Verfügung stellen und sicherte uns die Hilfe des Hausmeisters zu. Unterdessen suchten wir nach geeigneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Das Projekt führte ganz unterschiedliche junge Leute zusammen: Flüchtlinge, Einheimische und junge Leute aus Deutschland und Norditalien. Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Alter zwischen 15 und 18 Jahren kamen aus verschiedenen Wohnheimen nahe Agrigentos. Fünfzehn von ihnen stammten aus Gambia, zehn aus Guinea, jeweils vier aus der Elfenbeinküste, aus Mali und Senegal, vereinzelt kamen sie auch aus Burkina Faso, Nigeria, Afghanistan und Bangladesch. Geleitet wurden die Workshops von einheimischen jungen Leuten, die mit großem Engagement ihre berufliche Kompetenz einbrachten. Aktiv nahmen aber auch Ehrenamtliche aus verschiedenen Städten Italiens und aus Deutschland teil. Sie hatten sich an Treffen in den Internationalen Bildungszentren in Stuttgart, Mailand oder Solothurn auf ihren Einsatz vorbereitet und das Thema Migration aus soziologischer, theologischer und biblischer Perspektive vertieft.

Das Workshop-Projekt dauerte drei Wochen.  Die Flüchtlinge konnten in dieser Zeit einen Italienisch-Kurs besuchen und zusätzlich einen Workshop wählen. Angeboten wurden Informatik, Fotografie und künstlerisch-kreative Aktivitäten. Zudem gab es an verschiedenen Tagen Gesellschaftskunde entweder auf Französisch oder Englisch und einmal für alle ein Fußballturnier.
Auch ein bunter Abend mit allen Beteiligten durfte nicht fehlen.
Am Ende, bei der offiziellen Abschlussfeier, erhielt dann jeder Teilnehmer unter Anwesenheit der örtlichen Autoritäten eine Urkunde. Auch Kardinal Francesco Montenegro, Erzbischof von Agrigento, war an diesem Tag mit dabei.

Am Ende können wir sagen: Wir staunten, was aus der kleinen Anfangsidee alles gewachsen war. Die Jugendlichen, die Workshopleitenden und Ehrenamtlichen, alle hatten sich mit großem Engagement auf die Begegnung eingelassen! Die Rückmeldungen (s.a. nächster Artikel) drücken aus, was wir in diesen Wochen versuchten zu verwirklichen: Ein Miteinander ist möglich! Und das kann uns auch Hoffnung für die Zukunft geben. Für die jungen

Leute aus Italien und Deutschland fasste Meret Fuhr bei einem Interview des lokalen Fernsehens zusammen: »Wir alle sind Jugendliche der einen Welt«. Die Workshops hätten ihnen geholfen, sich für Dialog, Gerechtigkeit und gegenseitige Unterstützung einzusetzen.
Das Projekt hatte auch einen Nebeneffekt: Villaseta, dort, wo der Workshop stattfand, ist ein Risikoviertel mit großer materieller und kultureller Armut. Durch die gemeinsamen Aktivitäten richtete sich die Aufmerksamkeit nun auch auf diesen Stadtteil Agrigentos. Dies geschah durch die örtlichen Medien und die zivilen und religiösen Autoritäten. Das Projekt war letztendlich nur möglich durch die tatkräftige Unterstützung vieler – vor Ort und sogar von weit weg: so trugen auch Spenden von Pfarrgemeinden und des Bischofs von Basel, Dr. Felix Gmür, zur Realisierung bei.

Versuche ich das Erlebte in einem Satz zusammenzufassen, dann fällt mir die Stelle des Matthäusevangeliums ein: »Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen« (25,35).

 

Links:

Zeitschrift  Auf den Wegen des Exodus (PDF)

Zeitschrift  Auf den Wegen des Exodus (ARCHIV)

 

Junge Leute mit- und füreinander

Amadou (17 Jahre, unbegleiteter
Flüchtling aus Gambia):
»Große Schwierigkeiten haben mich dazu
gebracht, mein zu Land verlassen und
nach Italien zu fliehen. Ich wollte dem Tod
entkommen und ein wenig Glück finden
in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Das Leben bringt dich dazu, stark zu sein.
Es fordert dich heraus, gerne zu lernen,
dich mit Eifer für dein Leben einzusetzen
und hart zu arbeiten. Nichts im Leben ist
einfach, es gibt überall Hindernisse. Aber
eines sollte nie passieren: dass Du das Leben
verlierst, weil Du aufgibst.«

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