Niemand rettet sich alleine

01.04.2020
Roma (It)
von Giulia Civitelli
Aktuell, Migration

Ein Bericht aus dem Polyambulatorium der Caritas in Rom: Hier werden Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis, Obdachlose und Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen von großteils ehrenamtlichen Ärzten, Apothekern und Krankenpflegern medizinisch betreut. Giulia aus unserer Gemeinschaft berichtet von ihrem alltäglichen Einsatz als Ärztin während der Coronapandemie.

»Diese Zeit erlaubt keine Gleichgültigkeit, denn die ganze Welt leidet und muss sich bei der Bekämpfung der Pandemie zusammenschließen. Der Auferstandene schenke den Armen und allen, die am Rande der Gesell-schaft leben, den Flüchtlingen und Obdachlosen, Hoffnung. Mögen diese schwächsten Brüder und Schwestern, die die Städte und Randgebiete in allen Teilen der Welt bevölkern, nicht auf sich allein gestellt sein. Lassen wir nicht zu, dass es ihnen an den lebensnotwendigen Dingen fehlt, die jetzt aufgrund der vielen Schließungen nur schwer zu finden sind, ebenso wie auch Medikamente und eine angemessene Gesundheitsversorgung.« (Ansprache von Papst Franziskus während des Segens Urbi et Orbi, Ostern 2020).

Seit Beginn der Ausbreitung des Coronavirus in Italien wurden alle Aktivitäten – auch im ehrenamtlichen Bereich – einschneidend verändert. In Rom mussten bei sämtlichen Dienstleistungen der Caritas, vor allem im sanitären Bereich, auf die Schnelle weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Sie müssen sich laufend dem Rhythmus der allgemeinen Maßnahmen anpassen.Für unser Team des Polyambulatoriums war das nicht einfach. Wir fragten uns immer wieder, ob und wie wir unseren Dienst weiterführen können. Viele Ärzte, Krankenpfleger, Apotheker und andere Ehrenamtliche mussten schweren Herzens ihren Dienst unterbrechen. Die Gründe dafür waren vielfältig: Alter, Vorerkrankungen oder auch um Familienmitglieder zu schützen. Jede persönliche Entscheidung wurde von allen mitgetragen. Die wenigen, die übrigblieben – vor allem die jungen Leute – waren aber nicht sich selbst überlassen. Wir wussten uns von den Worten, Nachrichten und auch vom Gebet so vieler getragen. Das Team wurde zudem unterstützt von drei Zivildienstleistenden. Durch ein Dekret des Ministeriums hätten sie eigentlich ihren Zivildienst unterbrechen können, sie wollten uns aber unbedingt unterstützen.

Das Ambulatorium konnte also geöffnet bleiben. Natürlich mussten wir rigorose Sicherheitsmaßnahmen einführen. Nur gestaffelt haben die Leute Zugang und im Vorhof werden diejenigen voruntersucht, die Anzeichen einer Covid-19 Erkrankung zeigen. Die sanitären Angebote mussten heruntergefahren werden, aber unaufschiebbare Untersuchungen und Behandlungen, die Ausgabe von Medikamenten vor allem für chronisch Kranke bleiben bestehen.

#Ich würde gerne ... aber ich kann nicht

So konnten selbst in dieser schwierigen Zeit, in der Stadt und Straßen gleichsam entvölkert waren und in der die Armen noch ärmer dran wa-ren, medizinische Hilfe und menschliche Wärme auch denen geschenkt werden, die für die öffentliche Versorgung unsichtbar sind. Wegen dieser Menschen der Straße machten wir weiter, wir nehmen sie auf, wir hören ihnen zu, wir möchten ihren Schmerz lindern. Wie alle anderen auch, versuchen sie sich vor der Ansteckung durch das Virus zu schützen. Ihre Situation macht sie jedoch besonders verletzlich. Gleichzeitig werden sie von den öffentlichen Institutionen nicht beachtet. So versuchen wir uns zu vernetzen und für sie einzutreten, damit die Gesellschaft sich dieser Menschen annimmt, die so gerne zu Hause bleiben würden, aber kein Daheim haben. Aus Solidarität hat Caritas Rom eine Aktion gestartet mit dem Titel  #Ich würde gerne ... aber ich kann nicht (#vorrei...ma non posso).

So schrieb das Team des Polyambulatoriums einen Brief an alle Ehren-amtlichen und begründete darin die bisher getroffenen Entscheidungen: »Zwei Faktoren führten uns dazu, das Polyambulatorium (zumindest bis jetzt) offen zu lassen: Wir sehen dies als unsere Pflicht an – und gerade in dieser Situation (was auch im Ehrenkodex der Ärzte und des Pflegepersonals so verankert ist). Und der zweite Aspekt ist die außerordentliche Wichtigkeit und Rolle des Ehrenamtes in einer Notzeit, wie wir sie momentan haben. Wir sind nämlich überzeugt, dass wir in dieser Bedrängnis mit ihren zahlreichen und schwerwiegenden Auswirkungen, alle eine Gewissensentscheidung treffen müssen. Oft ist diese erkämpft, dramatisch und keinesfalls selbstverständlich. Sie betrifft uns als Bürgerinnen und Bürger, als medizinisches Personal, als Christinnen und Christen. Wir wollen die Idee nicht aufgeben, gemeinsam die Schwächsten und die an den Rand Gedrängten zu schützen. Schließlich sind sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt

Ich bin dankbar, dass ich diesen historischen Moment mit so vielen Men-schen teilen darf: mit meiner Gemeinschaft, dem Scalabrini-Säkularinstitut, mit meinem Team, den vielen Ehrenamtlichen, besonders aber den Migranten, den Schwächsten und Ärmsten, die an unsere Tür klopfen. Es ist wirklich wahr, was Papst Franziskus am 27. März 2020 während des Gebetes am Petersdom sagte: »Niemand rettet sich allein

Giulia Civitelli

 

Links:

Zeitschrift  Auf den Wegen des Exodus (PDF)

Zeitschrift  Auf den Wegen des Exodus (ARCHIV)

 

 

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